HarmonyOS von Huawei mit P40 Pro im Bild.
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HarmonyOS: Alles, was wir über das Betriebssystem und neue Geräte wissen

Pascal Scherrer
Pascal Scherrer

Am 2. Juni präsentiert Huawei an einem Event in China seine Android-Alternative HarmonyOS. Das Betriebssystem ist dabei nicht nur für Smartphones gedacht, sondern für alle vernetzten Geräte. Vor allem das Internet of Things hat Huawei damit im Visier: HarmonyOS soll das bevorzugte Betriebssystem der Hersteller werden, wenn es um IoT geht. Für uns ist aber natürlich interessant, wie sich HarmonyOS im Smartphone-Markt etablieren kann, respektive, was Huawei zum Start seines eigenen Betriebssystems alles aus dem Hut zaubern kann. Wir haben für euch alle wichtigen Informationen zu HarmonyOS zusammengetragen, die bisher durchgesickert sind.

Was genau ist HarmonyOS?

HarmonyOS ist ein Betriebssystem für Smartphones und das Internet of Things. Es kommt also auf Handys, Tablets, aber auch Smartwatches, Fernseher, Kühlschränken und sogar Autos zum Einsatz. In diversen Online-Publikationen heisst es immer wieder, Huawei arbeite schon seit 2012 an HarmonyOS, dann wiederum ist von 2016 die Rede. Wir haben bei Huawei Schweiz nachgehakt und als Antwort erhalten, dass 2016 korrekt sei. Das Projekt hatte aber nie grosse Priorität. Das änderte sich erst, nach dem Ex-US-Präsident Donald Trump Huawei auf eine schwarze Liste gesetzt hat. Huawei wurde dadurch von Google-Software wie dem Play Store oder Maps abgeschnitten.

Das sagte Huawei über HarmonyOS

Huawei bewirbt HarmonyOS auf der offiziellen Website als zukunftssicheres Betriebssystem. Im Gegensatz zu bisherigen System wie Android, die auf einem sogenannten monolithischen Kernel aufbauen, soll HarmonyOS einen Mikrokernel als Grundlage haben. Damit soll das OS weniger fehleranfällig sein und Anwendungen laufen viel einfacher auf einer Vielzahl von Geräten, ohne dass grosse Anpassungen nötig sind.

Analyse weckt Zweifel an Huaweis Version

Wie weit fortgeschritten HarmonyOS tatsächlich ist, ist nur schwer einzuschätzen. Ein Huawei-Manager sagte in einem Interview, das System wäre in einer ersten Version schon 2018 einsatzbereit gewesen. Aus heutiger Sicht ist das nur schwer zu glauben. Anfang 2021 hat ein umfassender Test der Betaversion von HarmonyOS durch den Tech-Blog Ars Technica berechtigte Zweifel geweckt. Der Blog hat unter anderem herausgefunden, dass die damalige Beta keineswegs eine Eigenentwicklung war, sondern hauptsächlich Android 10. Huawei hatte schlicht das Android-Branding durch HarmonyOS ersetzt, dabei aber einige Schriftzüge übersehen. Auch als der Tech-Redakteur eine Test-App installiert hat, identifizierte diese angebliche HarmonyOS als Android 10.

HarmonyOS nur eine Android-Kopie? Ars Technica-Bild.
So titelte Ars Technica zu HarmonyOS. | Bild: Screenshot Ars Technica

Grundsätzlich wäre dies nichts Schlimmes: Stock Android ist Open Source und kann von jedem Hersteller verwendet, angepasst und unter eigenem Namen vermarktet werden. Allerdings hat das natürlich einen faden Beigeschmack, wenn Huawei behauptet, HarmonyOS sei eine Eigenentwicklung. Nach der Veröffentlichung des Artikels von Ars Technica hatte Wang Chenglu, Präsident des Huawei Consumer Business Software Departements, sich angriffig gegenüber der Berichterstattung gezeigt. Er verwies darauf, dass nicht der ganze Code von Stock Android von Google sei, sondern das Meiste von der grossen Android-Open-Source-Community komme. HarmonyOS werde auf die ausgezeichnete Technologie und die Codestärke der Community setzen. Gegenüber chinesischen Medien sagte Wang:

Wenn man den Quellcode von AOSP (Android Open Source Project) als Basis von Hongmeng OS interpretiert und urteilt, dass Huawei nur die Haut von Android verändert hat, zeigt das, dass die Leute wenig Verständnis von Open-Source-Software haben.

Mit dieser Aussage stiftete Wang allerdings nur umso mehr Verwirrung, immerhin widerspricht das in zwei Punkte Huaweis früheren Aussagen über HarmonyOS:

  1. HarmonyOS wäre damit keine komplette Eigenentwicklung.
  2. Das Betriebssystem hätte damit keinen Mikrokernel, den Huawei zuvor propagiert hat, da Android auf Linux und damit auf einen sogenannten monolithischen Kernel aufbaut.

Das alles sorgt für einige Fragezeichen und seither schwirren diverse Gerüchte durch das Netz. Eines davon besagt, dass Huawei nur zu Beginn auf den Linux-Kernel von Android setze und diesen später per Update durch den eigenen Mikrokernel ersetzt werde. Ob so was tatsächlich möglich ist oder nur Wunschdenken, ist eine andere Frage. Es ist schwer vorstellbar, dass Huawei so etwas bewerkstelligen könnte, ohne, dass die ganzen Anwendungen von Drittanbietern ohne Anpassungen weiterlaufen.

Es bleibt uns wohl nur zu hoffen, dass Huawei die Bedenken an der Präsentation eindeutig und transparent ausräumt. Spätestens, wenn wir die ersten Reviews des Quellcodes vorliegen haben, sehen wir dann, was an Huaweis Ankündigung stimmt. Da HarmonyOS als OpenHarmony anderen Herstellern als Open-Source-System zugänglich gemacht wird, muss Huawei auch den Quellcode publizieren. Hier müssten Experten und Expertinnen dann also betreffenden Mikrokernel vorfinden.

Laufen Android-Apps auf HarmonyOS?

Das ist noch eine der grossen Fragen. Im Laufe der vergangenen Monate gab es dazu diverse Aussagen und Gerüchte. Mal hiess es, Android-Apps würden auch auf HarmonyOS laufen, einfach die Google Mobile Services würden natürlich nicht zur Verfügung stehen. Das kennen wir bereits jetzt von Smartphones wie dem Huawei P40 Pro, das keine GMS mehr hat. Möglich machen soll das ein Dual-Framework, damit sowohl Apps, die extra für HarmonyOS programmiert wurden, als auch solche von Android laufen.

Eine andere Ansage ist, dass Android-Apps nicht out-of-the-box auf HarmonyOS laufen, diese aber mit wenig Aufwand angepasst werden können. Der Zeitaufwand, um eine App anzupassen, bewege sich dabei bei etwa zwei bis drei Tagen, hat mir Huawei bei einem Gespräch letztes Jahr gesagt. Egal, was zutrifft, es dürfte auf jeden Fall eine wichtige Voraussetzung sein, dass Android-Apps, zumindest anfangs, auch auf HarmonyOS laufen. Nur so hätte das Huawei-Betriebssystem ausserhalb Chinas überhaupt eine reale Chance.

Wann startet HarmonyOS?

Huawei stellt das Betriebssystem am 2. Juni 2021 auf einem offiziellen Event vor. Wir gehen davon aus, dass das Betriebssystem dann noch im selben Monat an erste Endgeräte per Update ausgeliefert wird. Allerdings dürfte das Update wohl nur in China ausgeliefert werden. Gestartet ist HarmonyOS in China aber schon früher. Bereits Mitte 2019 hatte Huawei einen ersten SmartTV mit HarmonyOS auf den Markt gebracht. Das war aber wohl eher dazu da, um PR zu betreiben und das System in einem ersten Pilotversuch zu testen. Das HarmonyOS von jetzt ist eine komplett andere Version als noch 2019 und unterstützt nun auch High-End-Smartphones und Autos (als HiCar).

Der Fernseher Vision S ist das jüngste HarmonyOS-Produkt von Huawei. Er soll auch in der Schweiz erscheinen, wie Huawei uns bestätigt hat. | Bild: Huawei

Ausserhalb, namentlich in Europa, wird Huawei sich wohl erst mit neuen Produkten, die HarmonyOS vorinstalliert haben, in den Markt wagen. Dass diese kommen, haben diverse Leaks bereits bestätigt. Hier hat Huawei noch immer das grosse Problem, dass viele beliebte Apps, die in China keine Rolle spielen, nicht offiziell verfügbar sind. Mit dem Huawei P40 Pro muss man sich beispielsweise via Petal Search Apps wie Spotify, Netflix oder SBB besorgen. Das funktioniert zwar einigermassen, ist aber eher ein Workaround, denn ein potenter Play-Store-Ersatz. Sollten Android-Apps auf HarmonyOS laufen, könnte man sich als User mit HarmonyOS zumindest einigermassen durch den Alltag mogeln. Vielleicht lässt Huawei europäischen Usern die Wahl, ob sie auf HarmonyOS umsteigen wollen oder nicht.

Welche Geräte kommen als Erstes mit HarmonyOS?

Huawei hat einige Geräte für den Event offiziell angeteasert, die wohl ab Werk mit HarmonyOS ausgeliefert werden. Dank Leaks wissen wir, dass wir sicher mit neuen Tablets, einer Smartwatch (Watch 3) und dem Huawei P50 rechnen können. Dieses hat Huawei vor wenigen Stunden überraschend per Teaserbild angekündigt. Zusammen ergibt das dann die folgenden drei Teaser für neue HarmonyOS-Produkte:

HarmonyOS: Teser zum Smartphone Huawei P50 Pro.
Bild: Huawei
HarmonyOS: Teaser zur neuen Huawei Watch 3.
Bild: Huawei
HarmonyOS: Teaser zum neuen Tablet mit Stift.
Bild: Huawei

Zuvor war gemunkelt worden, dass Huawei den Start auf den Juli verschoben habe. Ebenfalls könnte Huawei neue Smart-TVs und die eine oder andere 4G-Version seiner bisherigen 5G-Handys vorstellen. Huawei darf seit November 2020 wieder 4G-Chips von Qualcomm beziehen, daher könnten wir also erstmals Huawei-Handys mit Snapdragon-Chips sehen. Gemunkelt wird, dass Huawei eine 4G-Version des Snapdragon 888 einsetzt, die Qualcomm extra für den chinesischen Techriesen entwickelt hat.

Mate 40 Pro
Das Mate 40 Pro wird in einer 4G-Variante kommen. Das haben Leaks bestätigt. | Bild: vybe

Laut dem bekannten Leaker auf Weibo, Chrystanthemum Fan, könnten diese Huawei-Smartphones in China bereits am 2. Juni HarmonyOS per Update bekommen:

Welche Hersteller ausser Huawei setzten noch auf HarmonyOS?

Da HarmonyOS Open Source ist (unter dem Namen OpenHarmony), dürfen auch andere Hersteller das Betriebssystem einsetzten. Im Bereich IoT haben bisher zwei Hersteller bekannt gegeben, HarmonyOS einzusetzen. Zum einen ist das die bei uns eher unbekannte Firma Midea, zum anderen Meizu. Letztere kennt ihr vielleicht, wenn ihr euch mit chinesischen Smartphone-Marken auseinandersetzt. Meizu ist ein eher kleiner Hersteller, der nebst einigen Gadgets auch Smartphones produziert. Meizu hat bestätigt, dass es HarmonyOS für sein Ökosystem von Smart Home Products einsetzten wird. Das erste Produkt mit HarmonyOS wird das Unternehmen bereits am 31. Mai vorstellen. Anhand des Teaserbildes könnte es sich entweder um eine Smartwatch oder aber eine smarte Glühbirne handeln.

Meizu Teaser zu einem neuen HarmonyOS-Produkt.
Bild: Meizu

Midea wiederum hat in der Vergangenheit bereits erste Geräte mit HarmonyOS auf den Markt gebracht. In Zukunft werde man voll und ganz auf HarmonyOS setzen. Das Unternehmen stellt keine Handys her, ist im Bereich der Haushaltsgeräte aber eine ganz grosse Nummer in China. Das Unternehmen ist so was wie das Electrolux Chinas und bietet auch immer mehr vernetzte Haushaltsgeräte an.

Wechseln andere Smartphone-Hersteller zu HarmonyOS?

Die grosse Frage, die das Netz aktuell beschäftigt, ist, ob andere chinesische Smartphone-Hersteller auf HarmonyOS umsteigen. Zuletzt gab es da einige Gerüchte. Konkret soll ZTE, auch eher ein kleiner Hersteller, mit HarmonyOS liebäugeln. Das Unternehmen hat die Gerüchte allerdings bestritten. Viel spannender ist da die Behauptung eines Leakers auf Weibo, dass diverse namhafte Hersteller bei Huawei wegen HarmonyOS angeklopft hätten. Konkrete Namen hat er nicht genannt, allerdings wäre einer dieser Hersteller eine ziemliche Überraschung, wenn es denn publik gemacht würde.

Solche Aussagen lassen Spekulationen natürlich ins Kraut schiessen. Passend dazu ist ein Video auf YouTube aufgetaucht, dass angeblich ein Xiaomi-Smartphone mit Boot-Screen von HarmonyOS zeigt. Allerdings konnte die Echtheit bisher nicht verifiziert werden. Da das Video stoppt, bevor wir den Launcher zu sehen bekommen, ist es naheliegend, dass es sich um einen Fake handelt.

Zumindest in China ist es aber gar nicht so unwahrscheinlich, dass auch grosse Hersteller wie Xiaomi oder Oppo auf HarmonyOS umsteigen, um von den USA unabhängiger zu werden. Ob aus eigenem Antrieb oder auf staatlichen Druck sei jetzt mal dahingestellt.